Medieninszenierung Demokratieabbau und Polizeigewalt

Kick-off-Referat zur Veranstaltung ‚Repression & Widerstand nach den G20 Protesten.‘
Programm: Festival der Grenzenlosen Solidarität
Repression & Widerstand AUDIO    

Tonmitschnitt der gesamten Veranstaltung unter Beteiligung von United we Stand, des RAVs, der IL und des Roten Aufbaus.
Deutliches Anti-G20-Statement der Roten Flora.

Gegen den G20 in Hamburg formierte sich früh bundesweit linker Protest. Die Hamburger Polizeiführung konterte. In einer Grauzone zwischen Verfassungsschutz und Innenbehörde erweckte sie das Feindbild, das am besten zu ihrer Ideologie und materiellen Interessenlage passte: Das des gewaltbereiten Autonomen und Linksextremisten. Schnell war von 8.000 autonomen Gewalttätern, die zum G20 anreisen sollten, die Rede.

So wurde frühzeitig ein diffuses Bedrohungsszenario geschaffen, das die Bevölkerung gegen den radikalen und emanzipatorischen Protest einstellen sollte. Viele Medien sprangen bereitwillig auf diesen Zug auf. Hier einige Headlines aus der Zeit: Das Handelsblatt titelte „10.000 gewaltbereite Gipfelgegner erwartet“ (23.06.2017), die Huffington Post „„Welcome to Hell“: Diese radikalen Gruppen aus dem In- und Ausland wollen Hamburg diese Woche ins Chaos stürzen“ (05.07.2017) und die Hamburger Morgenpost „8.000 Autonome erwartet. Showdown in der Schanze“ (06.07.2017).

Genau hingesehen und differenziert analysiert wurde wenig. Selbst die Gefahr terroristischer Anschläge als potentiellem Risiko für den Gipfel geriet in den Hintergrund. Darüber hinaus wurden vom Hamburger Verfassungsschutz in einem Sonderbeitrag bestimmte Bündnisse wurden als linksextremistisch eingeordnet und dadurch vom „legitimen“ Protest abgespalten. Dazu gab es einen Beitrag auf der Seite der Innenbehörde: Linksextremistische Versammlungen

Als linksextremistische Gruppierungen wurden die Autonome Szene, der Rote Aufbau, die IL und deren Sprecher, die zu diesem Zeitpunkt schon in der Öffentlichkeit standen, genannt. Sämtliche von ihnen geplanten Aktionen wurden explizit erwähnt und damit fast zwei Drittel des gesamten Protestes delegitimiert. Diese demokratiefeindliche Kommunikationsstrategie sollte sich während der Protesttage als verhängnisvoll erweisen.

Die Hamburger Polizei rüstete sich zum Gipfel mit Unterstützung aus anderen Bundesländern und europäischen Nachbarstaaten auf. Einsatzleiter Harmut Dudde hierzu auf der G20 Pressekonferenz der Polizei Hamburg am 15.06.2017: „Sie werden das gesamte deutsche Polizei-Equipment hier in Hamburg sehen. Wenn’s geht, eben möglichst zurückhaltend, wenn wir’s komplett brauchen, packen wir eben alles aus!“

Ein überdimensionierter Überwachungs- und Repressionsapparat, bestehend aus 31.500 Polizeikräften, dem Polizeipanzer Survivor, Scharfschützen, Hunde- und Reiterstaffel, Hubschraubern, Tauchern, Spezialkräften, modernster Überwachungstechnik und neuester Gesichtserkennungssoftware sowie einer teuren Gesa wurde installiert.

Die weltweit leistungsstärksten Wasserwerfer: Der WaWe 10.000.

Die nahezu militärische Aufrüstung von Polizei und Spezialkräften ist ein kennzeichnendes Element des Summit Policing, aber auch des Polizeikonzeptes der so genannten Hamburger Linie. Das statt auf intensive Aushandlungsprozesse mit allen Beteiligten auf eine martialische „Show of Force“ und die damit verbundene Einschüchterung der Bevölkerung setzt.

Die Unzulänglichkeit der Hamburger Linie wurde im polizeilichen Umgang mit der den G20 ablehnenden autonomen Demonstration „Welcome to Hell“ besonders deutlich. Die „Welcome to Hell“ war von der Hamburger Versammlungsbehörde im Vorfeld des Gipfels mit diesem Startpunkt und auf dieser Route genehmigt. Ungeachtet dessen positionierte die Hamburger Einsatzleitung dem Nachmittag vier Wasserwerfer, zwei Räumpanzer und unzählige Wannen auf der St. Pauli Hafenstraße frontal zur Demoroute. Da Wasserwerfer auf dem begrenzten Terrain nicht ohne weiteres wenden können, war von vornherein ersichtlich, dass die Polizeiführung einen eklatanten Rechtsbruch begehen wollte.

Spätere Sitzungen des G20 Sonderausschusses bestätigten dies. Fatalerweise fehlte es zu diesem Zeitpunkt an einer schnell agierenden juristischen Instanz, an die sich die Anmelder einer Demonstration in gravierenden Fällen der Überschreitung polizeilicher Machtbefugnisse hätten wenden können. Durch den massiven Angriff auf die „Welcome to Hell“ vor den Augen der Weltöffentlichkeit und der damit einhergehenden Polizeigewalt sah sich die Hamburger Polizeiführung dennoch schnell im Hintertreffen.

Aufstellung der Wasserwerfer frontal zur Demoroute. (FCMC TV)

Polizeikräfte „sezieren“ den schwarzen Block von dem 11tausend Menschen umfassenden Rest der „Welcome to Hell“.

Schon am Tag danach, als noch Rauch über der Elbchaussee hing und Krawalle die der Schanze beherrschten, wendete sich das Blatt. Die Aktion der Anarchisten entlang der Elbchaussee hatte Hamburg überrascht, eine Eskalation in der Schanze ist allerdings kein neues Phänomen. So lässt das stundenlange Abwarten der Polizei, ehe sie medienwirksam das SEK einsetzte, Raum für Spekulation.

Wollte die Polizeiführung die Bilder produzieren, die sie zur Rechtfertigung ihres hohen Materialaufwands und ihrer repressiven Einsatzstrategie brauchte? Dazu passt, als Begründung für den Einsatz des SEK gegen Zivilisten war von einem gefährlichen Hinterhalt und dutzenden Autonomen auf den Dächern im Schanzenviertel die Rede. Das SEK konnte allerdings nur russische Dokumentarfilmer und Schaulustige auf dem Dach des Hauses am Schulterblatt festnehmen. Die Einsatzkräfte in Erklärungsnotstand.

Das SEK sichert Freitagnacht die Schanze.

Sie illustrierte die Gefahrenlage nachträglich in einer Pressekonferenz. Ein besonderes Beweisobjekt war ein vorgeblich vom Dach des Hauses Nr. 1 am Schulterblatt geworfenen Molotowcocktail. Ketzer behaupteten allerdings, das war ein D-Böller. Als Beleg für ihre Theorie wurden vielfältig interpretierbare Wärmebilder geliefert. Bis heute gib es keinen Beweis für einen Molli. Das zur medialen Strategie der Polizei.

Dubiose Wärmebilder: Angeblicher Wurf eines Molotowcocktails.

Auch Polizeiberichte wurden zur Rechtfertigung ausgeschmückt und von einem ernst blickenden Innensenator Grote in einer Sondersitzung des Innenausschusses präsentiert. Es war von selbstgefertigten Speeren, Eisenspeeren, verstärkten Transparenten und Präzisionszwillen die Rede. Normale Zwillen reichten nicht mehr:

Kriegsähnliche „Bewaffnung“ im Hamburger Schanzenviertel.

Die „bürgerkriegsähnlichen Verwüstungen“ in der Schanze waren sehr schnell beseitigt. Manche sagen sogar, die Schanze war hinterher zu sauber.


Am Morgen danach ist die Schanze wieder sauber, zu sauber.

Nach dem Gipfel wurde die 180 Personen starke Soko Black Block ins Leben gerufen. Diese inszenierte sich medienwirksam mit der Öffentlichkeitsfahndung nach mutmaßlichen „G20 Gewalttätern“. Dabei wurde ein Instrument, das für die Fahndung nach Schwerverbrechern gedacht war, auf alle Personen, die vielleicht zur falschen Zeit am falschen Ort waren, oder wie die minderjährige „Krawallbarbie“ (BILD Headline) vor einer Budnifilliale zufällig ein paar Sachen aufgehoben haben, missbraucht. Das Netz reagierte darauf mit Humor:

Soli-Aktion: #JesuisKrawallbarbie

Ich zeige die Bilder von der Öffentlichkeitsfahndung bewusst nicht. Ihr kennt sie alle. Die Soko hat 100 Terabyte Fotos und Videos mit der Gesichtserkennungs­software „Videmo360“ ausgewertet und damit die Persönlichkeitsrechte tausender verletzt.

Und die Medien? Hier ist zu beobachten, das konservative etablierte Medien, wie Abendblatt, Mopo, NDR und die BILD der Linie der Innenbehörde unkritisch folgen und durch die Weiterverbreitung von Fahndungsfotos die Grundrechte der Betroffenen noch zusätzlich verletzen. Die Medienhetze geht bis heute in dieser Form weiter. Ein Beispiel hierfür ist der Film „Die schwarze Gewalt“ des Ersten, der – soundtechnisch bedrohlich illustriert – wie eine PR Manufaktur für die der Soko Black Block wirkt.

Der Titel „Die schwarze Gewalt“ würde auch hier passen.

Auch bei dem eigens einberufenen G20 Sonderausschuss ist der Name Programm: Sonderausschuss „Gewalttätige Ausschreitungen rund um den G20 in Hamburg“ Man weiß gleich, worum es geht und etwas anderes wird auch nicht behandelt. Kritische Fragen linker Parteien zur Strategie der Hamburger Polizeiführung, werden von der Polizeiführung tot geredet, die die meisten Experten stellt und 80% der Redezeit einnimmt.

Die Polizei und der Innensenator haben das Sagen im Ausschuss. So bleibt die Aussage von Olaf Scholz „Polizeigewalt hat es nicht gegeben.“ unhinterfragt. Diese Ignoranz eines für viele Menschen einschneidenden Teil des Gesamtgeschehens ist der politischen Aufarbeitung durch einen Ausschuss eines demokratischen Parlamentes unwürdig.

Einige Fälle von Polizeigewalt während des Gipfels sind unter: g20-doku.org dokumentiert. Die Dunkelziffer wird allerdings sehr hoch sein.

Einer jungen Tänzerin wurde durch einen Schlag mit dem Tonfa das Wadenbein gebrochen.

Hamburger Linie